Übern Graben
- Tim Kretschmer-Schmidt
- 11. Nov. 2018
- 4 Min. Lesezeit
Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr, den 11.11.2018
Evangelische Kirchengemeinde Blankenfelde
Predigttext Hiob 14,1-12
Anmerkung: Der Drittletzte Sonntag im Kirchenjahr fiel in diesem Jahr zusammen mit dem Gedenken an das Ende des I. Weltkrieges vor 100 Jahren.
Liebe Schwestern und Brüder!
Der Mensch, geboren von einer Frau, kurz an Tagen und satt an Unrast. Wie eine Blume geht er auf und welkt, flieht wie ein Schatten und hat keinen Bestand. Doch noch über den hältst du deine Augen auf und mich bringst du ins Gericht mit dir. Wer gäbe es, dass rein aus unrein kommt, kein Einziger, keine Einzige! Wenn die Tage eines Menschen fest beschlossen sind, liegt die Zahl seiner Monate bei dir; du hast seine Grenzen markiert und er überschreitet sie nicht. Blick weg von ihm und er könnte aussetzen, dass er sich wie ein Tagelöhner seines Tages freuen kann.
Hiob, der große Leidende, klagt um die Zerbrechlichkeit des Menschenlebens. Er selbst hat sie erlebt. Zehn Kinder gezeugt in Liebe mit seiner Frau. Zehn Kinder verloren, als der Sturm das Haus niederriss, in dem sie aßen und feierten.
Ja, für einen Baum gäbe es Hoffnung; wenn er abgehauen ist, kann er wieder ausschlagen und seine Triebe setzen nicht aus. Wenn auch seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Erdstaub abstirbt, so lässt er doch vom Duft des Wassers wieder sprossen, bringt einen Zweig hervor als ein junges Reis.
Im Wald vor Verdun grünen wieder die Bäume.
Dort wo einst die wohl sinnloseste Schlacht eines sinnlosen Krieges stattfand.
Doch immer noch ist der Boden hügelig von den Trichtern,
die die Granaten schlugen.
Tausende tötete das Feuer der Schlacht,
begrub sie lebendig unter der aufgewühlten Erde.
Noch einmal Hiob:
Doch stirbt ein Mann, liegt er kraftlos da, scheidet hin ein Mensch – wo ist er dann? Mögen Wasser aus dem Meer verschwinden, mag auch ein Fluss versiegen und vertrocknen, aber Menschen liegen und stehen nicht wieder auf,bis der Himmel nicht mehr existiert, erwachen die nicht und rütteln sich nicht auf aus ihrem Schlaf.
Einer davon der Engländer Wilfried Owen
Liegt da, steht nicht wieder auf.
Mit 25 Jahren wird er getötet am 4. November 1918
Als die Nachricht von seinem Tod seine Heimat erreichte,
heute vor 100 Jahren
läuteten die Kirchenglocken der Stadt gerade den Friedensschluss aus.
Vorher aber gießt Owen den Krieg und das Leid des Krieges
in Vers und Gedicht.
Hymne für verlorene Jugend Welch' Sterbeglock' für die, die Vieh gleich sterben? Nur der Geschütze Groll im Himmel steht. Nur schneller Schüsse stotterndes Verderben kann hastig für sie rasseln ein Gebet. Höhnt nicht mit eurem Beten ihre Taten; und keine Trauerglocke nebst den Chören- den Wahnsinnschören schrillender Granaten - soll Trauertönen aus der Heimat wehren. Welch' Sterbekerz' für die, die gehen heim? In Händen nicht, in Knabenaugen weitschimm're des Abschieds heil'ge Ewigkeit. Der Mädchen Blässe soll ihr Grabtuch sein; und ihre Blumen stiller Güte Sinn, und jede Dämmerung ein Vorhang-Ziehn.
Mit Begeisterung sind sie damals in den Krieg gezogen. „Gott mit uns!“ erklang es auf allen Seiten
Und auf deutscher Seite noch „Jeder Schuss / ein Russ‘ Jeder Stoß / ein Franzos‘ Jeder Tritt / ein Brit‘“ As den Soldaten wurden tote Menschen
An Leib und Seele verkrüppelte Menschen
Eine ganze Generation verendete körperlich und seelisch im Schützen
"Glaub bloß keine von den üblichen Redensarten von dem ,vorzüglichen Geist in unserem Heer`. Es gibt nichts, was der Soldat draußen mehr wünscht, als den Frieden . . . Das Gefühl ist allgemein: Welch sinnloses, fürchterliches Ding der Krieg ist! Wie ihn keiner gewollt, nicht der Belgier, der auf mich zielt, nicht der Engländer, auf den ich anlege . . . Jetzt, nach der gemachten Begeisterung, spüren sie's alle: Haß gegen den Krieg. Und der wird bei ihnen zum Haß gegen die Regierung, die den Krieg führt . . ."
schreibt der junge Soldat Erich Krems in die Heimat. Auch er stirbt 1916 bei Verdun. 18 Jahre alt ist er nur geworden. Bist du auch dagewesen Hiob? Bist Du auch da gewesen in den Müttern, die gebangt haben um ihre Kinder? Bis dann doch die Nachricht kam, dass der Sohn gefallen ist? Was mögen diese Menschen gedacht haben, was mögen sie denken über Gott? Hiob! Bist Du noch da, wo Krieg und Gewalt herrschen? Wo Menschen sich töten um vermaledeiter Macht willen? Eine Hoffnung ist noch geblieben: Die Hoffnung, dass Gott die Bitte des Hiob, ihn gefälligst in Ruhe zu lassen, doch nicht erfüllt. Die Hoffnung, dass Gott den Menschen hindrängt zum Frieden und durch Menschen doch noch Frieden schafft Frieden den Kriegen. Nicht erst am Ende, wenn alle Schlachten geschlagen und 17 Millionen seiner Kinder unter der Erde liegen. Sondern Frieden schon bevor der Streit eskaliert. Alle Menschen müssen sterben, aber eben in den Grenzen ihrer Zeit Und nicht durch Granaten, Gewehre und Gas. Ein anderer Dichter, der den Krieg miterlebt hat,
war Kurt Tucholsky.
Er schreibt 1923:
Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker! Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit! In die Gräben schickten euch die Junker, Staatswahn und der Fabrikantenneid. Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben, für das Grab, Kameraden, für den Graben! Werft die Fahnen fort! Die Militärkapellen spielen auf zu euerm Todestanz. Seid ihr hin: ein Kranz von Immortellen - das ist dann der Dank des Vaterlands. Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben, für das Grab, Kameraden, für den Graben! Denkt an Todesröcheln und Gestöhne. Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne, schuften schwer, wie ihr, ums bißchen Leben. Wollt ihr denen nicht die Hände geben? Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben übern Graben, Leute, übern Graben -!
Amen.
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