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Was die Wüste ist...

  • Autorenbild: Tim Kretschmer-Schmidt
    Tim Kretschmer-Schmidt
  • 6. Dez. 2020
  • 5 Min. Lesezeit

II. Sonntag im Advent, 7. Dezember 2014 Predigtreihe I Predigttext des Entwurfes zur Revision der Perikopenordnung: Jesaja 35, 3-10 Kirchengemeinde zu Französisch Buchholz, Berlin

Unter Verwendung des Friedrich Spee zugeschriebenen Wochenliedes „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (EG 7) und Antoine de Saint-Exupéry „Der kleine Prinz“

Die Wüste ist furchtbar. Alles ist so gigantisch, geradezu grotesk und leer. Die riesigen Dünen- und Sandflächen nehmen nur einen verhältnismäßig kleinen Teil ein, der größere besteht aus Kies, Fels und Geröll. Kilometer um Kilometer verschiebt sich der immer gleiche Horizont und nur selten zeichnet sich dort ein Wechsel der Landschaft ab. Hier sieht der Boden aus, als wäre ein riesiger Berg durch eine gigantische Detonation in Abermilliarden kleine verkohlte Stücke zersprengt worden, die von Riesen mit Rechen gleichmäßig über Dutzende von Quadratkilometern verteilt worden sind. Dann wieder nehmen die Felsen in den Bergzügen skurrile Formen an, und man glaubt sich auf einen anderen Planeten versetzt. Die hier vorherrschenden Farben der Wüste werden vom Schwarz und Braun der Felsen gesetzt. Manchmal auch mischen sich Sand- und Felswüste, und wie Klippen aus der See ragen dann die Felsen aus dem goldenen Meer des Sandes. Oder es sind kilometerbreite weiche Sandflächen ins flache Geröll eingelagert. Die Wüste ist furchtbar.

Im Nichts des Blickes steigen im inneren Bilder auf von ungeahnter Kraft und Intensität. Fata Morgana der Seele. Die wüste Erde. Banken profitieren von der Spekulation mit Nahrungsmitteln, woanders herrscht Hunger. Deutschland beliefert die Welt mit Waffen, woanders herrscht Krieg. Wir leben im Überfluss des Konsums, weil woanders andere Menschen arm sind. Unsere Ohren taub von den Klagen der Opfer in Syrien. Die Beine müde geworden auf dem Weg zu den Flüchtlingen in unserer Stadt und in Deutschland, die uns doch so dringend brauchen. Die Hände kraftlos vor Ohnmacht, denn gegen die Mächtigen kommen wir zu oft nicht an. Angst und Hilflosigkeit, die in lähmendem Zorn aufgehen, uns schreien lassen bis die Zunge trocken ist. Blind vor Wut werden wir gegenüber denen, die gierig greifen nach Macht und Geld, die Menschenleben als verschiebbare Ware betrachten, die freveln an der Erde und ihren Geschöpfen. Und doch sind wir unentrinnbar selber mittendrin in dem Mechanismus von Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt.

Jesaja: Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: „Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.“

Inmitten dieser Weltenwüste steigt eine dunkle Seite Gottes auf: Rache. Dieser Aspekt Gottes ist aber nur auf den ersten Blick erschreckend, weil wir ihn zu lange vergessen haben. Aus den Psalmen im Gesangbuch wurden die entsprechenden Stellen herausgestrichen, die Lesungen für die Gottesdienste und die Theologen vermeiden es, davon zu sprechen. Dabei ist es zutiefst heilsam, Gott die Rache überlassen. Dann erst kann ich gesunden, weil ich nicht mehr in meiner eigenen Selbstgerechtigkeit verhaftet bin. Ich werde frei von der Gefahr, selbst für einen scheinbaren Ausgleich zu sorgen und dabei jedes Maß zu verlieren. Es täte mir auch so gut, das triumphierende Lachen zu verlernen, wenn ein anderer die Drecksarbeit der Rache für mich erledigt hat. „Das hat dieser Übeltäter verdient, das geschieht ihr ganz recht…“ Denn: bin ich denn selber wirklich um so vieles besser? Auch damit bin ich in der Wüste konfrontiert: mit der eigenen langen Nacht meiner Seele.

Die Wüste ist furchtbar. Im Nichts des Blickes steigen im inneren Bilder auf von ungeahnter Kraft und Intensität. Auch Bilder des Heils. Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Advent. Warten. Warten auch darauf, dass Gott entgegen unserer Er-wartungen die Dinge zurecht bringt. Wir können viel, aber nicht alles selbst bewirken. Wir müssen auch Vertrauen setzen auf Gott, der eingreifen will in unsere Welt, der gegen unsere Angst und Ohnmacht seine Taten setzt. Der Gott, der von Heilung spricht für unsere vom eigenen und fremden Leid verkrüppelte Seelen. Damit wir klar sehen können und die leisen Töne wieder hören. Damit wir weiter gehen als nur bis zu den eigenen, engen Grenzen der Vernunft. Damit die alten Sehnsuchts-Lieder wieder erklingen können von Hoffnung auf Befreiung.

Unser gerade gesungener Durst:

O Heiland, reiß die Himmel auf, Herab, herab, vom Himmel lauf! Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, Reiß ab, wo Schloss und Riegel für!
O Gott, ein’ Tau vom Himmel gieß; Im Tau herab, o Heiland, fließ. Ihr Wolken, brecht und regnet aus Den König über Jakobs Haus.
O Erd’, schlag aus, schlag aus, o Erd’, Dass Berg und Tal grün alles werd’ O Erd’, herfür dies Blümlein bring, O Heiland, aus der Erden spring.
„Die Wüste ist schön“, sagte der kleine Prinz… Und das war wahr. Ich habe die Wüste immer geliebt. Man setzt sich auf eine Sanddüne. Man sieht nichts. Man hört nichts. Und währenddessen strahlt etwas in der Stille. „Es macht die Wüste schön“, sagte der kleine Prinz weiter, „dass sie irgendwo einen Brunnen birgt.“

Schon Jesaja weiß um Brunnen, die die Wüste schön machen:

Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. Denn Gottes Erlöste werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Noch ist zuviel der wüsten Erde. Doch sieh: ein grüner Keim bricht immer wieder aus dem Boden. Klein und schwach und verletzlich. Die Engel rufen sein Erscheinen aus: „Frieden auf Erden allen Menschen guten Willens.“ Noch ist kein Weg hinaus aus der Wüste. Doch sieh: Der erste Stein auf dem Weg, der die Völker der Welt zum Zion führen wird, ist gelegt. Es ist der Stein, der am Ostermorgen vom Grab weggerollt wurde.


Aufleuchtend am Horizont der Hoffnung ein Bild vom Anfang des Buches Jesaja, das Ziel am Ende der Zeiten:

Es wird zur letzten Zeit der Berg, da Gottes Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg Gottes gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und Gottes Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.

Amen – So soll, nein, so wird es sein!


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© 2020 Tim Kretschmer-Schmidt

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