Maria im Advent
- Tim Kretschmer-Schmidt
- 13. Dez. 2020
- 3 Min. Lesezeit
IV. Sonntag im Advent, 18.12.2016
Kirchengemeinde Blankenfelde
Predigttext: Lukas 1
Maria lebt in einer kleinen Wohnung am Rande der Stadt. Wir kennen uns aus dem Gottesdienst und eines Tages hat sie mich eingeladen, sie doch einmal zu besuchen. Auf dem Tisch steht Tee und ein Teller mit Butterkeksen. Kein Adventskranz. Auch sonst kein Schmuck, der diese besondere Zeit deutlich macht. Sie halte nichts davon, sagt Maria mir auf meine vorsichtige Frage nach Tannengrün und Zimtsternen. Sie findet, dass diese Zeit sowieso mit viel zu viel gefüllt wird mit Plänen und Erwartungen. „Es ist doch seltsam,“ denkt sie laut „jetzt sind plötzlich alle Leute freundlich und kaufen Geschenke bis die Kreditkarte quietscht. Wenn ich übers Jahr was Passendes für jemanden sehe, kaufe ich es und schenke es ihm sofort. Andere machen es doch auch so...“ Den selbstgestrickten, himmelblauen Pullover hat sie von ihrer Cousine Elisabeth.
Der rote Rock kommt aus Norwegen. Ihr Freund Jussuf ist dort gerade auf Montage. Er hat ihn gesehen, gekauft und ihr geschickt. Einfach so.
Maria ist ziemlich klug für ihre 18 Jahre, denke ich mir. Die meisten in dem Alter verfallen dem kollektiven Shoppingrausch, betrinken sich mit schlechtem Glühwein und machen jedes noch so abgestumpfte Adventsritual mit.
„Und Weihnachten? Hast Du wenigstens schon einen Christbaum?“ frage ich. „Weihnachten kommt Jussuf wieder! Und das Kind, das kommt dann auch!“ Sie strahlt wie nur Schwangere strahlen können.
Sie hatte es mir im März auf der Straße erzählt, dass sie schwanger ist. Die empörte Reaktion von Jussuf hatte sie damals mir auch berichtet. Verlassen wollte er sie erst. Ist dann doch geblieben am nächsten Tag. Hat sie einfach umarmt und mit ihr geweint aus der Unsicherheit der Freude. Sie hatte noch nie etwas mit Jussuf, sagte sie damals. Und dann ganz verschämt: „Auch noch nie vorher...“
Beide wissen nicht, von wem es nun ist, das Kind. Sie wissen nur: da wird ein neues Leben. Neues Leben auch für Maria und Jussuf.
„Das Kind...“ sage ich nachdenklich.
Maria nimmt einen Schluck Tee: „Du denkst jetzt sicher auch, wie das alles werden soll… Jussuf dauernd unterwegs und ich schon zwei Lehren abgebrochen...“ Verschämt senke ich den Kopf. „Es ist halt so. Und es wird gut. Alles wird immer gut, weil Gott es doch immer gut mit uns meint! Erst recht, wenn neues Leben ankommt!“ Sie sagt das ganz einfach.
Ich schiele zur Uhr an der Wand. Es ist später geworden als es mir mein Terminkalender erlaubt. Maria fragt, ob ich nicht zum Abendessen bleiben möchte. Ich überlege. Zu Hause stapelt sich die Arbeit wie immer in der Vorweihnachtszeit. Und Marias Kühlschrank hat sicher nicht damit gerechnet, dass noch jemand mit essen wird. Als wenn sie meine Gedanken errät, sagt sie: „Es wird schon reichen für zwei...“ Sie fängt einfach an einen Salat zu machen, holt Brot und Käse dazu, stellt eine Flasche Rotwein auf den Tisch.
Wir schmausen und Maria erzählt munter den neuesten Klatsch aus der Gemeinde. Als ich mich schließlich verabschiede, gelingt es mir kaum, sie zu umarmen, so voll ist ihr Bauch mit einem hüpfendem Kind.
Auf dem Weg nach Hause gehe ich im Kopf den nächsten Tag durch, dann die nächste Woche. So viel zu tun noch. Seit gestern brennen alle vier Lichter auf dem Adventskranz. Kerzen- Countdown, der die Zeit bis Weihnachten erschreckend kurz macht. Dabei wollte ich wenigstens dieses Jahr einmal wieder Zimtsterne backen. Der Tannenbaum muss noch gekauft werden und Geschenke… Nach den Weihnachtstagen rauscht auch schon der erste Silvesterbesuch an. Und habe ich eigentlich schon für die ersten Tage des kommenden Jahres einen Plan? Ich bliebe kurz stehen. Eher glaube ich gerade, ich habe viel zu viele Pläne. Ich gehe weiter, denke weiter.
Wie viele Pläne hatten eigentlich andere mit mir? Eltern tun viel bis alles dafür, um stolz auf ihre Kinder zu sein. Wie schwer, ein von anderen geplantes Leben hinter sich zu lassen. Eigene Pläne zu schmieden. Die dann auch nicht immer in Erfüllung gehen. Dann werden eben neue Pläne gemacht.
Pläne planieren Leben. Was auf der Strecke blüht, wird plattgemacht weil ich so oft den Blickt nicht lassen auf ein Ziel, das vielleicht irgendwo hinterm Horizont liegt. Denn Leben kann, nein soll perfekt sein. Haben sie gesagt. Sagen sie immer wieder.
Maria hat nichts geplant. Nicht ihr Leben und erst recht nicht das Kind. Dass ich zum Abendessen bleibe auch nicht. Und doch sind wir beide satt geworden am Essen und am guten Gespräch. Maria ohne Pläne. Maria voll der Gnade der Hoffnung. Voll Vertrauen, dass Gott es gut meint mit ihrem kleinen Leben.Mit unser aller Leben.
Maria lebt in einer kleinen Wohnung am Rande der Stadt. Maria lebt im Advent. Amen.
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