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Himmlisches Theater

  • Autorenbild: Tim Kretschmer-Schmidt
    Tim Kretschmer-Schmidt
  • 27. Sept. 2020
  • 6 Min. Lesezeit

Zum Michaelistag 2020 - Sonntag, den 27.9.2020

Evangelische Kirchengemeinde zu Französisch Buchholz

Predigttext: Offenbarung 12,7-12


Ich lasse mich langsam in den Sessel fallen und mein Blick wandert durch den Saal. Es ist schon etwas in die Jahre gekommen dieses Theater, ein bunter Stilmix, leicht plüschig und an einigen Ecken auch kitschig. Es riecht etwas nach Staub, nach frischen Farben, Holz und Schminke. Ich habe dort seit Jahren ein Abo und unterstütze das Haus gerne. Die Stücke sind zwar nicht besonders neu, werden aber immer innovativ und spannend auf die Bühne gebracht. Die Figuren sind lebendig und lebensnah, manchmal widersprüchlich und rätselhaft. Aber jede Person lässt aber immer auch Raum für eigene Interpretationen. Keine Vorstellung, nach der ich nicht nachdenklich nach Hause gehe oder erfreut. Manchmal auch erschrocken oder traurig. Dann brauche ich etwas länger bis ich begreife, dass gerade diese Emotionen wichtig sind und meinem Leben Tiefe und Echtheit verleihen.


Das Programmheft heute verspricht ein Stück in 22 Szenen, aufwändig inszeniert in grandiosen Bildern voller Glanz und Furcht. Titel: Apokalypse oder Offenbarung des Johannes von Patmos. Bevor ich mich in den Text des Programmheftes vertiefen kann, senkt sich das Licht im Saal, das Murmeln der Menschen verstummt. Vor den beleuchteten Vorhang treten die ersten Spieler. Lesen Briefe an alte Gemeinden. Dann öffnet sich die Bühne für das eigentliche Spiel:


Ein Thronsaal voll himmlischer Herrlichkeit, ein Buch mit sieben Siegeln, Posaunen und Plagen und schließlich der Antritt der Herrschaft Gottes.


Der Himmel, so denke ich, muss ein grandioser Ort sein. Voller Musik und Frieden, vollendeter Liebe und fröhlich machender Gegenwart Gottes. Aber dann:


Im Himmel kam es zum Krieg. Michael und seine Boten zogen gegen den Drachen in den Krieg. Der Drache und seine Boten zogen in den Krieg. Sie erlangten keine Übermacht. Es blieb im Himmel kein Platz mehr für sie. Hinausgeworfen wurde der große Drache, die alte Schlange, der Teufel und Satan genannt wird, der die ganze Menschheit irreführt – hinausgeworfen wurde er auf die Erde, und seine Boten wurden mit ihm hinausgeworfen. Ich hörte eine mächtige Stimme im Himmel sagen: »Jetzt ist die Rettung eingetroffen, die Macht und die Königsherrschaft unseres Gottes, die Herrschaft von Gottes Gesalbtem, denn der Ankläger unserer Geschwister, der sie vor unserem Gott Tag und Nacht anklagt, ist hinausgeworfen worden! Sie haben ihn besiegt durch das Blut des Lamms und durch das Wort ihres Zeugnisses. Sie haben ihr Leben nicht geliebt bis zum Tod. Deshalb freut euch, ihr Himmel und die in ihnen wohnen! Weh der Erde und dem Meer: Der Teufel ist mit großer Wut zu euch hinabgestiegen. Er weiß, dass er kaum mehr Chancen hat.«

Der Vorhang schließt sich plötzlich, das Licht im Saal geht langsam an – Pause. Was für ein Cliffhanger! Aber dafür ist das Theater hier ja auch bekannt: an spannenden Stellen die Menschen in die Pause schicken zum Austausch und Gespräch. Da ich heute alleine bin, schlendere ich durch das Foyer und bekomme den einen oder anderen Gesprächsfetzen mit.


„Dieser Blick in die Zukunft, in Gottes Plan für die Welt ist doch immer wieder faszinierend“ sagt ein Mann mit amerikanischen Akzent in der Stimme zu einer eleganten Dame. Diese antwortet: „Als Neutestamentlerin sehe ich hier gar keinen Blick in die Zukunft, sondern einen Blick in die Gegenwart der damaligen Christinnen und Christen! Der Erzengel Michael steht für das Volk Gottes und der Drache für das römische Imperium!“ „Oder für das amerikanische unter Trump?“ denke ich mir. Aber wenn wir gegenseitig mit dem Finger auf uns zeigen, zeigt am Ende jede auf jeden und das Problem des Bösen auf der Welt ist nicht gelöst.


Ein Konfirmand aus unserer Gemeinde grüßt mich freundlich und sagt: „Ganz schön fies oder?“ „Was jetzt?“ „Na Gott macht Hausputz im Himmel und schickt uns das Böse einfach so auf die Erde, damit er seine Ruhe hat… Ich bin ja gespannt wie es weitergeht! Aber jetzt brauch ich erstmal was zu trinken...“ Vorwitzige Bemerkungen von Konfirmandinnen und Konfirmanden haben oft mehr theologische Einsichten als sie selber vermuten. Es ist definitiv auch fies von Gott.

Dann höre ich die Frage: „Was ist denn nun aus Ihrer Sicht das Böse, ehrwürdiger Rabbi?“ Ich drehe mich um. Schön, der Landesrabbiner ist auch mal wieder hier. „Nun, alles was nicht Gottes Tora, seiner Weisung entspricht – das werden die frühen Christen auch so gesehen haben…“ Aber war das Böse nicht schon Bestandteil der Schöpfung? Die Schlange im Paradies ist Gottes Geschöpf. Sie hat nur weniger an und ist ein bisschen besser drauf als alle anderen Tiere. Vom Satan im Buch Hiob wird gesagt, er sei einer der „Söhne Gottes“. Überhaupt hat das Christentum aus dem Satan als einer Art Staatsanwalt der jüdischen Tradition ja eine ganz andere Gestalt werden lassen. Eine Art Gegenspieler Gottes, ausgestattet mit einer ebenso großen Machtfülle, der die Menschen zum Bösen verführt. Psychologisch natürlich praktisch – man schiebt die eigene Bosheit und Fehlbarkeit einfach auf ein rotes Männchen mit Hörnern, Schwanz und Pferdefuß. Theologisch aus meiner Sicht nicht machbar, da wir dann den Boden des Monotheismus verlassen.


Ich erinnere mich an das, was der chilenische Befreiungstheologe Pablo Richard schreibt: „Den Teufel als absolutes Subjekt gibt es nicht; er ist ein Mythos, der das Böse als Person fasst.

Das Böse dagegen existiert durchaus, aber es ist eine menschliche Schöpfung, ein gesellschaftliches Produkt, es ist personale oder soziale Sünde; es kommt nicht von Gott und ist nicht von ihm geschaffen. Die übernatürlichen Kräfte des Bösen stammen aus der geschichtlichen Ansammlung der personalen wie sozialen Sünde.“ Also wieder eine ganz andere Meinung…


Vielleicht erfahren wir es erst am Ende, wenn wir vor Gott stehen und alle Fragen vor sie bringen dürfen. Vielleicht auch gut, dass wir mit dieser Frage nicht fertig werden, sie nicht in dieser Welt beantworten zu können oder beantwortet zu bekommen. Denn nur so werden wir uns mit dem zum ersten mit dem Bösen auseinandersetzen, das unsere Welt prägt: Menschenfeindlichkeit und Machtmissbrauch, Tyrannei und Ungerechtigkeit, Engherzigkeit und Gier. Dann kämpfen wir mit dem Bösen, das wir selbst in die Welt bringen. Das Bild vom himmlische Hausputz fordert uns zum zweiten auf, auch bei uns genau hinzusehen. In den geistlichen Krieg zu ziehen gegen unsere inneren Dämonen der Bequemlichkeit und des Wegschauens, des unnötigen Jammerns und der Kleingeistigkeit, des Neides und der Gier. Zum dritten gilt es immer wieder büßend die Verhältnisse zu bekennen, in die wir verstrickt sind. Billiger Kaffee, Klamotten von Primark oder Adidas, wirtschaftlicher Aufschwung wegen Waffenproduktion und -export - uns geht es nicht zuletzt deshalb so gut, weil es anderen Menschen vor allem in den südlichen Ländern schlecht geht. Auch diese strukturellen Sünden sind von Übel und halten das Böse in der Welt lebendig.


Die Pausenklingel ertönt und ruft wieder in den Saal. Auch die zweite Hälfte des Stückes wird geprägt sein von diesem Kampf gegen das, was Menschen unterdrückt und zerstört. In klaren Bildern manches und manches auch geheimnisvoll verschlüsselt. Denn die Mächtigen und Tyrannen reagieren oft empfindlich, wenn man ihnen ihre Eitelkeit, ihre Untaten und ihre alles fressende Gier vor Augen führt.

Dann wird im großen Gericht alles nochmal zur Sprache kommen, was war an Schrecklichem und bösen – die Täterinnen und Täter werden den Opfern der Geschichte zuhören müssen und ihren Schmerz mitempfinden. Und ebenso wird Gott jeden Schmerz und jede Wunde mit spüren.

Die Schöpfung wird neu und es wird keinen Tod und kein Leid und keine Tränen mehr geben. Alle Menschen werden ihren Platz finden bei Gott und Gott wird selbst ihre schrecklichste Bosheit in ihrem weiten Herzen in Liebe verwandeln. Der Vorhang senkt sich und vor dem tosenden Schlussapplaus tritt noch einmal die Gestalt des Paulus vor den Vorhang und zitiert aus dem Brief an die Gemeinde in Korinth: Der letzte Feind, der seine Macht verliert, ist der Tod.


Alles hat Gott ja unter seine Füße getan.

Wenn es aber heisst, alles wird entmachtet, so ist klar, dass gemeint ist: ausser Gott, denn Gott hat Christus alles übergeben. 28Wenn dem Messias alles unterworfen sein wird, dann wird auch der Sohn selbst alle Macht Gott übergeben, da Gott dem Messias alle Mächte unterwarf. So wird Gott alles in allem sein.


Das letzte Bild dieses Stückes nehme mit nach Hause – das Leuchten das himmlische Jerusalem hat mein Herz hell und warm und stark gemacht. Nein, ich will und darf nicht gleichgültig werden gegenüber dem Bösen in dieser Welt. Die Taufe stattet mich aus mit der Macht es zu bekämpfen. Oft gelingt es mir auch, Böses zu vernichten oder in Gutes zu verwandeln. Wo ich das nicht vermag, möchte ich vertrauen, dass die kommende Welt alles Üble verwandele und am Ende erfüllt sein wird von Gottes Liebe.

Im Kampf wie im Vertrauen helfe und stehe mir und uns bei der Erzengel Michael und alle Engel.


Amen.

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© 2020 Tim Kretschmer-Schmidt

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