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Die Kronen des Lebens

  • Autorenbild: Tim Kretschmer-Schmidt
    Tim Kretschmer-Schmidt
  • 18. Nov. 2018
  • 4 Min. Lesezeit

Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr, 18.11.2018 Evangelische Kirchengemeinde zu Französisch Buchholz Predigttext: Offenbarung 2,8-10 (Übers: Bibel in gerechter Sprache)


Liebe Schwestern und Brüder!

Die Post ist da.

Ein Blick auf den Absender

und die Schreiberin, der Schreiber der Worte tritt mir vor Augen,

wie sehr uns auch trennen mag Raum und Zeit.

Den Umschlag vorsichtig auftrennen,

das Papier knisternd entfalten.

Vielleicht der Geruch von Tinte, der Duft eines Parfums.

Die Blicke erwandern Zeile für Zeile den Inhalt.


Ein Brief geschrieben um 90 nach unserer Zeitrechnung:

Dem Boten der Gemeindeversammlung in Smyrna schreibe: Dies sagt der Erste und der Letzte, der tot war und lebendig wurde. Ich kenne deine Bedrängnis und Armut – aber reich bist du – und die Gotteslästerung derjenigen, die sich als jüdisch ausgeben, ohne es zu sein, sondern eine Versammlung des Satans sind. Fürchte nichts, was du erleiden wirst! Da! der Widersacher will einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr geprüft werdet. Ihr werdet zehn Tage Bedrängnis haben. Sei treu bis zum Tod, und ich werde dir den Kranz des Lebens geben! Wer ein Ohr hat, höre, was die Geistkraft den Gemeindeversammlungen sagt! Wer sich nicht unterkriegen lässt, wird vom zweiten Tod nicht angetastet.

So schreibt es der,

der dem Tode noch entronnen ist

durch die Verbannung nach Patmos.

Der, über dem der Himmel aufgehen wird

um Verborgenes zu entbergen

in Bildern des Schreckens und des Trostes.

So schreibt es der Seher Johannes.


Johannes weiß um die Gemeinde in Smyrna.

Johannes weiß um Tod und Leben

um die Lästerung derer, die sich kostümieren als Juden,

obwohls gar keine sind

um besser zu kollaborieren mit den Herrschenden.

Trösten will Johannes seine Geschwister:

Vertraut auf den Toten, der wieder lebendig geworden ist

Bleibt Eurem Glauben treu

Haltet aus, was nicht auszuhalten ist:

Die Armut an Leib und Seele

Die Bedrängnis durch die Unterdrücker und Mörder

Darin bewährt sich der Glaube.

So erringt ihr den Kranz des wirklichen Sieges.


Auch er wird diesen Trostbrief gelesen haben,

der ehemalige Kriegsfreiwillige aus dem I. Weltkrieg.


Er weiß um die erschossenen, vergasten, verkrüppelten Kameraden,

den Lärm der Geschütze, die Todesangst.

Unvergessen für ihn sicher auch die grellen Worte derer,

die aufrufen zu Kampf und Opfertod

für hohle Werte wie Kaiser und Vaterland,

kostümiert auch mit Talar und Messgewand.

Eine ganze Generation ist ihnen gefolgt -

„Gott mit uns“ auf der Gürtelschnalle

und „Heil dir im Siegerkranz“ schmetternd.


So schreibt der nun 41jährige auf seine Einberufung hin am 2. März 1939 an das Wehrbezirkskommando Stettin:


„Den Dienst mit der Waffe muss ich aus Gewissensgründen ablehnen. Mir wie meinem Volk sagt Christus: ‚Wer das Schwert nimmt, soll durchs Schwert umkommen.’ (Matt 26, 53) So halte ich die Waffenrüstungen meines Volkes nicht für einen Schutz, sondern für eine Gefahr. Was meinem Volk gefährlich und verderblich ist, daran vermag ich mich nicht zu beteiligen. [...] Im Einklang mit den gekennzeichneten Gewissensbindungen fühle ich mich meiner Obrigkeit gegenüber zu Gehorsam und Fürbitte verpflichtet. Meinen staatsbürgerlichen Pflichten suche ich mich nicht zu entziehen. Sollte mir statt militärischer Übungen ein entsprechender Arbeitsdienst zuerkannt werden, dann bin ich hierzu bereit, auch wenn ich durch vermehrte und schwierigere Arbeit die Aufrichtigkeit meiner Gewissensbedenken gegen den Militärdienst erhärten sollte.“

Ein Gericht verurteilt ihn 1939 deswegen zu einem Jahr Gefängnis. Im Gefängnis Verweigerung der Eidesleistung auf Adolf Hitler. Wieder ein Schreiben an die zuständigen Behörden:

„Ich habe Gottes Geist Gehorsam geschworen. Daneben verliert eine zusätzliche Eidesleistung unbedingten Gehorsams gegenüber einer Obrigkeit für mich jeden Sinn. So verbietet sich mir auch der übliche Eid, entsprechend den Weisungen des Neuen Testamentes (Matth. 5,34 und Jak. 5,12).“

Erneut ein Prozess, diesmal mit Todesurteil am 16. März 1940. Ein Brief am 25. April 1940:


„Was auch immer eintreten mag, unsere Hauptsorge sei nicht die Erhaltung unseres kleinen Lebens, sondern die, dass wir von Gottes Wegen nicht abweichen.“

Am 21. Juni 1940 wird Hermann Stöhr

in Plötzensee mit dem Fallbeil ermordet.


Die Post ist da.

Heute am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres,

dem Volkstrauertag,

Ein Sack voll Briefe.

Briefe von der Front und aus dem KZ

Briefe aus Todeszellen und Arbeitslagern

Ein Blick auf den Absender

und die Schreiberin, der Schreiber der Worte tritt mir vor Augen.


Briefe, die mich befragen und hinterfragen

in meinem Hier und Heute voll wohliger Sicherheit:


Wie säh‘s denn aus mit meinem Glauben

In Bedrängnis und Gefängnis

In Not und Tod?

Mein Glaube, der – manchmal hart angefragt –

sich oft nur stammelnd äußern kann.

Mein Glaube ist doch jetzt schon

oft nur klein und zart

verletzlich und vielfach verletzt.


Es muss ja gar nicht Bedrängnis und Gefängnis sein

Es reicht schon das Wissen, dass ich einmal werd scheiden!

Wie auch immer mein Sterben dann aussehen mag.

Ich bin mir so gar nicht gewiss,

ob‘s dann wohl reicht bei mir

für die Treue bis in den Tod.

Eins weiß ich aber:

Mein Glaube ist der Glaube

von Jan Hus und Martin Luther King

von Maximilian Kolbe und Hermann Stöhr

von Sophie Scholl und Oscar Romero.

Wir alle teilen den Glauben desjenigen

der am Kreuz gehangen hat

und diesen Glauben durchgestammelt hat mit den Worten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ und

„Es ist vollbracht!“


Vielleicht sind Kränze des Lebens am Ende gar kein Kränze

Aus duftend immergrünen Lorbeeren

Die Kränze des Lebens sind vielleicht die Dornenkronen,

die so viele Menschen getragen haben und noch tragen.

Dornenkronen, deren Holz zu Papier wird für Briefe.

Ein letzter Brief ist da.

Noch einmal Hermann Stöhr.

Der Abschiedsbrief vor seiner Ermordung.

Den Umschlag vorsichtig auftrennen,

das Papier knisternd entfalten.

Der Geruch von Tränen

und ein Hauch der kommenden Welt.


Er schreibt:


„Keiner möge über meinen Weg traurig sein. Ich denke, Grund zu haben, diesen Weg bis zu Ende in Dankbarkeit und Freude zu gehen. Und schließlich ist es nicht nur ein Ausgang, sondern auch ein Eingang. Dass wir uns in der Ewigkeit alle wiedersehen, das wird unsre Freude noch erhöhen.“


Amen

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